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Seelenreise

Quälendes Schweigen – ein Leben ohne Antworten

In meinen frühen Zwanzigern habe ich einmal den Satz: „Verstehen ist der Trostpreis im Leben“ gelesen. Ich muss gestehen, ich habe ihn damals nicht verstanden. Man muss verstehen, um zu verarbeiten. Dachte ich. Und damit lag ich ziemlich falsch.

Ein Thema zieht sich wie ein roter Faden durch unzählige, zum Teil vermeintliche, Beziehungen zwischen Seelenpartnern: Kontaktabbrüche, Schweigen. Besonders dramatisch, manchmal regelrecht traumatisch, ist es, wenn ein Partner ohne eine Erklärung einfach verschwindet.

Von heute auf morgen kommentarlos verlassen, geblockt, geghosted oder ignoriert zu werden, ist ein schlimmes Erlebnis. Die wenigsten Menschen können damit problemlos umgehen. Sie suchen die Schuld bei sich, gehen die Situationen im Kopf immer und immer wieder durch: „Was habe ich denn gesagt? Was habe ich falsch gemacht? An welchem Punkt ging alles so unglaublich schief?“

Diese quälenden Fragen kommen Tag für Tag wieder, manchmal über Wochen, Monate oder sogar Jahre. Wie soll man nicht wahnsinnig werden, wenn der so sehr geliebte Mensch einfach stoisch schweigt?
Die Ungewissheit und die offenen Fragen sind für die meisten so schwer zu ertragen, dass sie anfangen den verlorenen Seelenpartner zu kontaktieren. Aus einer Nachricht oder einem Anruf werden nicht selten unzählige verzweifelte Kontaktversuche. Zu der Trauer um den verlorenen Herzensmenschen gesellen sich recht schnell Frust und Wut, wenn sie ins Leere laufen.

Kein Anschluss unter dieser Nummer

Um alles in der Welt WILL der verlassene Seelenpartner Antworten auf seine Fragen und endlich das Schweigen beenden. Das Betteln um Antworten wird fast schon zum Zwang: „Ich MUSS es einfach wissen.“ Der Schmerz ist so groß und die Fragen so qualvoll, dass manchmal ein regelrechtes Bombardement entsteht. Doch ein Mensch, der schweigend den Kontakt abbricht, bleibt in der Regel stumm. Egal wie viele Versuche unternommen werden, eisernes Schweigen.
Kein Anschluss unter dieser Nummer.

Der verlassene Mensch, der nun so einsam im Regen steht, kommt nach einigen frustrierenden Kontaktversuchen oft zu dem Schluss: „Wenn ich doch nur eine Antwort hätte. Wenn ich es doch nur verstehen würde.“ Er klammert sich an die Idee des Verstehenwollens. Einen Satz habe ich in Gesprächen nun schon unzählige Male gehört: „Wenn ich es verstehen würde, könnte ich endlich loslassen.“

In blindem Aktionismus werden auf der Suche nach DER Antwort Karten gelegt, gependelt oder anders orakelt. Spirituelle Aura-Leser, Schamanen und Hellseher bemüht, um endlich Klarheit zu bekommen.

Die Hoffnung, dass das Verstehen den Schmerz lindert, ist so groß und dabei völlig unbegründet.

Schweigen – Warum Antworten nicht weiterhelfen

Wenn du dich auf eine geplante Gartenfeier freust, Sonne erwartest und es an diesem Tag in Strömen regnet, hilft es dir dann, das Wetter zu verstehen? Bist du weniger enttäuscht, wenn du etwas über Thermik erfährst oder dir klar wird, dass du den Wetterbericht bewusst ignoriert hast?

Verstehen ist der Trostpreis. Es ändert rein gar nichts an den Gefühlen. Zu wissen, warum etwas ist wie es ist, macht es nicht ungeschehen. Auch nicht weniger schmerzhaft. Im Gegenteil treten viele in eine falsche Verständnisfalle, die sogar noch mehr Probleme aufwirft. Gerade bei Liebeskummer weckt eine Antwort vielleicht sogar falsche Hoffnungen. Ein Mensch, der sagt: „Ich kann nicht. Zumindest im Moment.“ „Ich liebe dich, aber kann nicht, weil ich verheiratet bin.“ „Ich kann nicht, weil die Gefühle zu stark sind.“ „Ich kann nicht, wegen der Kinder.“ „Im Moment bin ich nicht bereit, ich muss mich erst selbst finden.“ weckt falsche Hoffnungen. Das Nein zur Beziehung wird von dem verlassenen, liebenden Partner als ein „vielleicht in der Zukunft“ gedeutet. Das es ein Nein ist, wird geflissentlich überhört.

Ja, es ist verdammt schwer, schmerzhaft und traumatisch, verlassen und mit tausend Fragen in eisigem Schweigen zurückgelassen zu werden. Die Antwort, warum der andere so gegangen ist, kann allerdings nicht den Schmerz lindern. Zu verstehen, warum etwas ist wie es ist, hilft nicht weiter. Es ist keine Lösung und es bringt keine Erlösung. Häufig bindet es nur weiterhin die Energien, die für einen Neuanfang nötig wären. Es weckt falsche Hoffnungen und hält dich da gefangen, wo du schon bist. Im Schmerz.

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